Gezeitenkraft

Vor der Küs­te Schott­lands kann man beob­ach­ten, wie Wind­tur­bi­nen unter Was­ser instal­liert wer­den, soge­nann­te Gezei­ten-Tur­bi­nen. Die­se auf dem Mee­res­bo­den posi­tio­nier­ten Tur­bi­nen nut­zen die Ener­gie aus dem beweg­ten Was­ser, das mit dem Ein- und Aus­fluss der Gezei­ten ver­bun­den ist. “Gezei­ten­en­er­gie liegt prak­tisch brach und war­tet dar­auf, genutzt zu wer­den”, könn­te man sagen, wenn man ihr gewal­ti­ges Poten­zi­al in Betracht zieht. Schät­zun­gen zufol­ge könn­te genug Gezei­ten­en­er­gie erfasst wer­den, um alle Haus­hal­te in den USA zwei­mal mit Strom zu versorgen!

Trotz des signi­fi­kan­ten Poten­zi­als ver­sorgt die der­zeit welt­weit aus bestehen­den Gezei­ten­kraft­wer­ken gewon­ne­ne Ener­gie weni­ger als 400.000 Haus­hal­te. Wie funk­tio­niert Gezei­ten­en­er­gie genau? War­um ist sie noch nicht weit ver­brei­tet? Die Ant­wor­ten auf die­se Fra­gen lie­gen im Ver­ständ­nis von Gezei­ten und dem Prin­zip der “Vor­her­sag­bar­keit”.

Gezei­ten sind vor­her­seh­bar, sie kom­men her­ein und sie gehen hin­aus, ein kon­stan­tes Mus­ter seit der Geburt des Mon­des. Die­se Regel­mä­ßig­keit wird in der Gezei­ten­en­er­gie genutzt und macht sie zu einer zuver­läs­si­gen Ener­gie­quel­le. Um jedoch das Funk­tio­nie­ren der Gezei­ten­en­er­gie zu ver­ste­hen, ist es wich­tig sich dar­an zu erin­nern, wie Gezei­ten funktionieren.

Über die Gezeiten

Die Schwer­kraft des Mon­des zieht an der Erde und ver­ur­sacht, dass das fle­xi­ble­re Was­ser sich in Rich­tung Mond aus­beult. Auf der ande­ren Sei­te der Erde wird durch die Dif­fe­renz­kraft, die von der eige­nen Schwer­kraft der Erde aus­ge­übt wird, eine gegen­über­lie­gen­de Aus­buch­tung erzeugt. Wenn Erde, Mond und Son­ne in einer Linie lie­gen, ver­stärkt die Schwer­kraft der Son­ne die Aus­buch­tung. Wäh­rend sich die Erde dreht, tre­ten ver­schie­de­ne Tei­le der Welt in die­se Aus­buch­tung ein und ver­las­sen sie wie­der, was für uns aus­sieht, als käme die Flut her­ein oder gin­ge hinaus.

Die­ser Zyklus geschieht unge­fähr zwei­mal am Tag. Wäh­rend ver­schie­de­ner Mond­pha­sen schwächt die Aus­buch­tung nur ab, aber der Zyklus bleibt bestehen. Man kann sich das Meer wie einen Sup­pen­tel­ler vor­stel­len, wel­cher regel­mä­ßig nach links und rechts gekippt wird. Genau wie die Sup­pe in dem Tel­ler schwappt, schwap­pen die Mee­re unse­res Plan­ten hin und her.

Wie funktioniert die Gezeitenkraft?

Gezei­ten­en­er­gie erfasst die durch die­se Gezei­ten erzeug­te Ener­gie. Sie ver­wen­det Tur­bi­nen, die sich dre­hen, wenn das Was­ser hin­ein- oder hin­aus­fließt und erzeugt dabei Strom nach dem glei­chen Prin­zip wie Wind­tur­bi­nen. Was­ser ist über 800-mal dich­ter als Luft, was bedeu­tet, dass Gezei­ten-Tur­bi­nen robus­ter sein müs­sen, aber klei­ner und lang­sa­mer sein kön­nen und den­noch in der Lage sind, mehr Leis­tung als Wind­tur­bi­nen zu erzeugen.

Zurück zum Trumpf der Gezei­ten­en­er­gie: Vor­her­sag­bar­keit. Im Gegen­satz zu Wind- und Solar­ener­gie, die zufäl­lig begin­nen und auf­hö­ren und nicht immer ver­füg­bar sind, sind Gezei­ten unglaub­lich kon­stant. Das Auf­la­den von Bat­te­rien, wenn die Gezei­ten flie­ßen, kann eine ste­ti­ge Strom­ver­sor­gung gewährleisten.

Arten der Gezeitenkraft

Die Gewin­nung von Gezei­ten­en­er­gie erfolgt auf zwei Haupt­we­gen: Gezei­ten­strom und Gezeitenhub.

Gezeitenhubenergie

Gezei­ten­hub­ener­gie nutzt den Unter­schied zwi­schen Hoch- und Nied­rig­was­ser, der bis zu 12 Meter betra­gen kann. Dies wird erreicht, indem ein Damm über eine Regi­on gebaut wird, in der das Meer­was­ser auf das Land trifft. Der Unter­schied zwi­schen Hoch- und Nied­rig­was­ser wird in die­sen Buch­ten oder Ästua­ri­en ver­stärkt. Die Tore des Damms wer­den geschlos­sen gehal­ten, bis der Unter­schied im Was­ser­stand den höchs­ten Punkt erreicht. Dann lässt man das Was­ser hereinfließen.

Eine dar­un­ter lie­gen­de Tur­bi­ne sam­melt die­se Ener­gie und wan­delt sie in Elek­tri­zi­tät um. Vie­le Gezei­ten­kraft­wer­ke arbei­ten auch, wenn das Was­ser in die ande­re Rich­tung fließt, und sind so 18 bis 22 Stun­den täg­lich betriebsbereit.

Die Gezei­ten­hub­ener­gie ist kein neu­es Kon­zept. Der ältes­te Gezei­ten­hub-Gene­ra­tor, La Rance, wur­de 1966 im Nor­den Frank­reichs gebaut. Obwohl sei­ne Instal­la­ti­ons­kos­ten gerin­ger sind als die eines Kern­kraft­werks, ist er teu­rer als ande­re erneu­er­ba­re Ener­gien. Den­noch ist La Rance wei­ter­hin in Betrieb und erzeugt genug Strom für eine Stadt mit rund 250.000 Ein­woh­nern. Sein Strom ist sogar bil­li­ger als Solar- und Kernenergie.

Heu­te gibt es vier wei­te­re betriebs­fä­hi­ge Gezei­ten­hub­kraft­wer­ke in Süd­ko­rea, Russ­land, Kana­da und China.

Gezeitenhubenergie: Standort und Einschränkungen

Man könn­te ein Gezei­ten­hub­kraft­werk über­all auf­stel­len, aber es wäre unwirt­schaft­lich, es irgend­wo auf­zu­stel­len, wo es nur eine mini­ma­le Gezei­ten­hub gibt.” Die­se Wor­te stam­men, sinn­ge­mäß über­setzt, von Simon Neill, einem Spe­zia­lis­ten, der jah­re­lang die Gezei­ten beob­ach­tet hat. Er schlägt vor, dass der mini­ma­le Gezei­ten­hub, der für ein Pro­jekt erfor­der­lich ist, fünf Meter beträgt. Die­se Varia­bi­li­tät kann auf meh­re­re geo­gra­fi­sche Fak­to­ren zurück­ge­führt wer­den, ein­schließ­lich der Brei­te des Kon­ti­nen­tal­schelfs und der Tie­fe des Ozeans.

Top-Regio­nen für Gezei­ten­en­er­gie sind die Bay of Fun­dy in Kana­da, das nord­west­li­che aus­tra­li­sche Schelf, das nord­west­li­che euro­päi­sche Schelf und das pata­go­ni­sche Schelf. Aller­dings sind nicht alle die­se Stand­or­te geeig­net. Ein­schrän­kun­gen wie feh­len­de Netz­an­schluss­mög­lich­kei­ten oder gerin­ge loka­le Bevöl­ke­rungs­zah­len kön­nen die Ren­ta­bi­li­tät eines Gezei­ten­hub­kraft­werks einschränken.

Dar­über hin­aus exis­tiert nicht über­all die not­wen­di­ge Infra­struk­tur, um sol­che Anla­gen zu unter­stüt­zen. Es wur­den auch Beden­ken hin­sicht­lich der mög­li­chen nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen auf die loka­le Umwelt geäu­ßert, ein­schließ­lich der Stö­rung von wan­dern­den Fischen, Ver­än­de­run­gen in der Boden­zu­sam­men­set­zung und der Beein­träch­ti­gung von Gemeinschaftsflächen.

Gezeitenkraft: Moderne Anpassungen an Mensch und Umwelt

Trotz die­ser Her­aus­for­de­run­gen dreht sich das Blatt für die­se Form der erneu­er­ba­ren Ener­gie. Ein im Okto­ber 2021 in Wales in Auf­trag gege­be­nes Pro­jekt hat den tra­di­tio­nel­len Ansatz zur Gezei­ten­en­er­gie über­ar­bei­tet und sich davon ver­ab­schie­det, eine gan­ze Bucht abzu­sper­ren. Statt­des­sen nutzt die­ses moder­ne Design nur einen Teil einer Lagu­ne, um sicher­zu­stel­len, dass die loka­le Öko­lo­gie geschützt bleibt. Bemer­kens­wer­ter­wei­se wird erwar­tet, dass die­ses Pro­jekt sogar mehr Ener­gie erzeugt als das bekann­te fran­zö­si­sche Kraft­werk La Rance.

Die­ses neue Kraft­werk wird nicht nur Ener­gie erzeu­gen, son­dern der Vor­schlag umfasst auch Bestim­mun­gen für Aqua­kul­tur und Sport, um die Flä­che als gemein­schaft­lich genutz­te Res­sour­ce zu erhal­ten. Der­zeit erzeu­gen Gezei­ten­hub­pro­jek­te, obwohl sie rela­tiv klein in der Anzahl sind, etwa 98% aller Gezei­ten­en­er­gie. Die­se Pro­jek­te haben eine kom­bi­nier­te Kapa­zi­tät von 520 Mega­watt, was immer noch ein win­zi­ger Bruch­teil des welt­wei­ten Ver­brauchs ist.

Gezeitenstromturbinen: Eine vielversprechende Innovation

Jetzt tre­ten Gezei­ten­strom­tur­bi­nen ins Ram­pen­licht. Die­se Form der Strom­erzeu­gung hängt von den Unter­was­ser­strö­mun­gen ab, die durch die Gezei­ten ver­ur­sacht wer­den. Es gibt meh­re­re Designs, die sich in Form und Tech­no­lo­gie unter­schei­den. Die gebräuch­lichs­ten sind Hori­zon­tal­ach­sen­tur­bi­nen, ähn­lich wie Wind­tur­bi­nen, die in Clus­tern unter Was­ser auf­ge­stellt wer­den können.

In den letz­ten Jah­ren haben For­schungs- und Ent­wick­lungs­ge­bie­te im Nor­den Schott­lands rekord­bre­chen­de Men­gen an sau­be­rer Ener­gie ins UK-Netz ein­ge­speist. Die­se Ener­gie reicht aus, um über 12.000 Haus­hal­te ein Jahr lang mit Strom zu ver­sor­gen. Zu den ande­ren Designs gehö­ren ein Unter­was­ser­dra­chen, der Was­ser­strö­mun­gen zur Ener­gie­er­zeu­gung nutzt, und schwim­men­de Strom­tur­bi­nen, von denen die leis­tungs­stärks­te kürz­lich in Schott­land ein­ge­führt wurde.

Gezeitenkraft: Herausforderungen und Zukunftsaussichten

Obwohl die Gezei­ten­kraft erheb­li­ches Poten­zi­al zeigt, hinkt sie ande­ren erneu­er­ba­ren Ener­gien wie Wind und Solar hin­ter­her. Die­ser Ver­zug ist haupt­säch­lich auf die hohen Kos­ten zurück­zu­füh­ren, die mit dem Auf­bau und der War­tung von Unter­was­ser­in­fra­struk­tur ver­bun­den sind. “Lei­der sind vie­le der Lösun­gen wirk­lich teu­er”, gibt Aman­da Smy­the, eine Gezei­ten­for­sche­rin an der Uni­ver­si­tät Oxford, zu. Sie weist auf die Pro­ble­me von Bio­fouling und Kor­ro­si­on hin, unter ande­ren tech­ni­schen Her­aus­for­de­run­gen, die die Betriebs­kos­ten erheb­lich erhöhen.

Exper­ten glau­ben jedoch, dass die Ska­lie­rung der Pro­duk­ti­on, tech­no­lo­gi­sche Ver­bes­se­run­gen und finan­zi­el­le Unter­stüt­zung durch die Regie­rung den Durch­bruch für Gezei­ten­kraft ermög­li­chen könn­ten. “Wir befin­den uns in einer sehr ähn­li­chen Situa­ti­on wie die Wind­ener­gie vor etwa 20 Jah­ren”, stellt Smy­the fest. Und wenn wir sehen, wie die Wind­ener­gie inzwi­schen flo­rie­ren konn­te, könn­ten wir erwar­ten, dass die Gezei­ten­en­er­gie in den kom­men­den Jahr­zehn­ten einen ähn­li­chen Auf­schwung erlebt.

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